Umstrittenes Gesetz gegen Hass im Internet beschlossen
Erstellt am 19.Juni 2020, 17:42 Uhr | Kategorie: News
Die Strafverfolgung von Hasskommentaren im Netz soll mit dem neu beschlossenen Gesetz erleichert werden. Kritiker sehen darin aber eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür.
Wer im Internet hetzt, Menschen bedroht und drangsaliert, muss künftig mit deutlich härteren Strafen rechnen. Der Bundestag verabschiedete am Donnerstag ein ganzes Gesetzespaket gegen Hass und Hetze im Netz.
Laut dem Gesetz müssen soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter künftig bestimmte Posts – beispielsweise mit volksverhetzenden Inhalten sowie Androhungen von schwerer Körperverletzung oder Mord – nicht nur löschen, sondern sofort dem Bundeskriminalamt (BKA) melden.
Um die Täter schnell zu identifizieren, müssen sie auch IP-Adressen weitergeben. Selbst Passwörter können verlangt werden. Das soll den Behörden laut Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) helfen, die Urheber von Hasskommentaren im Netz schnell zu finden und strafrechtlich zu verfolgen. Unter anderem dieser Passus ist jedoch hoch umstritten.
Kritik von allen Seiten
Während die Justizministerin das Gesetz als “klares Signal, dass wir diese Taten nicht hinnehmen” sieht, gab es von zahlreichen Seiten Kritik: Grüne, Linke und FDP äußerten Datenschutz-Bedenken in der Debatte im Bundestag.
Es sei nicht in Ordnung, dass massenhaft Benutzerdaten ohne vorherige rechtliche Prüfung an das BKA gingen und dort erstmal blieben, sagte die Grünen-Abgeordnete Renate Künast in der Debatte im Bundestag. Deswegen habe ihre Fraktion einen Änderungsantrag gestellt. Als Alternative schlugen Die Grünen ein zweistufiges Verfahren vor, bei dem die Daten zwar sofort gespeichert würden, das BKA darauf aber erst zugreifen darf, wenn sich der Anfangsverdacht bestätigt hat. Ein entsprechender Änderungsantrag wurde aber abgelehnt.
Diesem Vorschlag schloss sich auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber an in einer Stellungnahme gegenüber dem Handelsblatt an.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) bezeichnete den Beschluss als Schlag gegen Informantenschutz und Redaktionsgeheimnis. Schon der Anschein, Ermittlungsbehörden könnten auf Passwörter von Journalisten zugreifen, schrecke potentielle Informanten ab. Berufsgeheimnisträger sollten laut DJV explizit von der Herausgabepflicht ausgenommen sein.
Bereits im Vorhinein warnte die EU-Kommission, dass das deutsche Gesetz teilweise nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Sie sieht vor allem Konflikte mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und der E-Commerce-Richtlinie, laut heise online. Die Kommission befürchtet, dass die Betreiber der sozialen Netzwerke zu sehr belastet werden, wenn sie die IP-Adressen und Portnummern von Nutzern selbstständig ans BKA leiten müssen. Zudem kritisierte die Kommission, die möglichen schweren Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer.
Der Deutsche Richterbund begrüßte die Meldepflichten der sozialen Netzwerke. Allerdings brauche es bundesweit hunderte zusätzliche Strafverfolger dafür. Der Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds Sven Rebehn schätzte, dass auf die Justiz jedes Jahr 150.000 neue Fälle zukommen.
Die Gesetzesänderungen im Detail:
Meldepflicht für Hass im Netz
Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter müssen bestimmte Posts künftig nicht nur löschen, sondern sofort dem Bundeskriminalamt (BKA) melden. Um die Täter schnell zu identifizieren, müssen sie auch IP-Adressen und Ports weitergeben. Unter das Gesetz fallen etwa Neonazi-Propaganda, die Vorbereitung einer Terrortat, Volksverhetzung, Gewaltdarstellungen, aber auch die Billigung von Straftaten, Mord- und Vergewaltigungsdrohungen sowie die Verbreitung von Missbrauchsfotos und -videos.
Bei besonders schweren Straftaten wie Terrorismus und Tötungsdelikten sollen nach einem Richterbeschluss auch Passwörter verlangt werden dürfen. Allerdings dürfte diese Möglichkeit in der Praxis nur eine geringe Bedeutung haben, da Passwörter gemäß der gesetzlichen Vorgaben bei den Anbietern gar nicht im Klartext gespeichert werden dürfen.
Härtere Strafen für Bedrohungen
Wer anderen Körperverletzung oder sexuelle Übergriffe androht oder ankündigt, etwa das Auto des anderen anzuzünden, begeht künftig eine Straftat – wie bisher nur bei Morddrohungen. Für solche Äußerungen im Internet drohen Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren, bei öffentlichen Morddrohungen von bis zu drei Jahren.
Beleidigungen im Internet sollen ebenfalls mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. “Öffentliche Beleidigungen sind laut und aggressiv, für Betroffene können sie wie psychische Gewalt wirken”, argumentiert die Bundesregierung.
Billigung von Straftaten
Bisher ist es nur strafbar, bereits begangene Taten öffentlich zu befürworten – künftig gilt das auch für angekündigte Straftaten. “Dies richtet sich gegen Versuche, ein Klima der Angst zu schaffen”, erklärte das Justizministerium. Ein Beispiel: Wenn jemand im Internet die Aussage befürwortet, ein Mensch gehöre “an die Wand gestellt”. Ob ein einfaches Like unter einem Post dafür ausreicht, hängt unter anderem davon ab, welche Reichweite der Nutzer hat. Die Gerichte müssen beurteilen, ob er mit seiner Befürwortung “den öffentlichen Frieden stört”.
Mehr Schutz für Kommunalpolitiker
Kommunalpolitiker werden unter den besonderen Schutz des Paragrafen 188 des Strafgesetzbuches gestellt. Der schützt eine “im politischen Leben des Volkes stehende Person” vor übler Nachrede und Verleumdung. Angewendet wird er bislang vor allem bei Bundes- und Landespolitikern.
Auch Angriffe auf medizinisches Personal in Notaufnahmen, auf Ärzte und Pfleger, sollen härter bestraft werden – genauso wie es bisher schon für Angriffe auf Polizisten, Feuerwehrleute und Soldaten vorgesehen ist. Für solche Attacken drohen bis zu fünf Jahre Haft.
Antisemitische Taten
Wenn es für eine Tat antisemitische Motive gibt, soll das künftig strafverschärfend wirken. So sollen auch die Ermittlungsbehörden besonders sensibilisiert werden. Die Änderung ist laut Ministerium eine Reaktion auf einen enormen Anstieg registrierter antisemitischer Straftaten. Seit 2013 hätten diese um 40 Prozent zugenommen.
Sperren im Melderegister
Lokalpolitiker, Ehrenamtler und Journalisten können künftig einfacher verhindern, dass Unbekannte ihre Adresse herausfinden. Auskunftssperren für ihre Daten im Melderegister werden erleichtert. Derzeit kann jeder den vollen Namen und die Anschrift anderer bei den Behörden erfragen. Wenn es ein “berechtigtes Interesse” gibt, sind auch Auskünfte etwa zu Familienstand und Staatsangehörigkeiten möglich.
Paket gegen Rechts
Das nun beschlossene Gesetz ist Teil eines Maßnahmenpakets der Bundesregierung. Es entstand als Reaktion auf den Anschlag in Halle im Jahr 2019. Dabei versuchte ein Rechtsextremist in eine Synagoge einzudringen, um Massenmord an den dortigen Gläubigen zu begehen. Er scheiterte mit dem Versuch, erschoss aber zwei Passanten. (dpa / hcz)