Hongkong: Regierungskritische Nachrichtenseite muss aufgeben

Polizeibeamte tragen beschlagnahmtes Material aus dem Büro von Stand News
Rund 200 Polizeibeamte haben am Mittwoch die Redaktion von Stand News und Wohnungen von Mitarbeitern durchsucht. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Die prodemokratische Online-Zeitung Stand News hat am Mittwoch auf Druck der Behörden den Betrieb eingestellt. Zuvor hatte die Polizei aktuelle und ehemalige Mitarbeitende verhaftet und die Redaktionsräume durchsucht.

Stand News teilte am Mittwoch mit, der Betrieb sei eingestellt und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit sofortiger Wirkung entlassen worden. Beiträge auf der Internetseite und in den sozialen Medien sollen entfernt werden. “Vielen Dank an die Leser für Ihre anhaltende Unterstützung”, heißt es in der Mitteilung zur Schließung. Die Vermögenswerte des Mediums wurden eingefroren.

Beamte der Abteilung für nationale Sicherheit hatten am Mittwoch den Chefredakteur Patrick Lam Shiu-tung und seinen Vorgänger Chung Pui-kuen verhaftet. Auch vier ehemalige Mitglieder des Aufsichtsrates wurden festgenommen. Die Behörden werfen ihnen eine angebliche “Verschwörung mit dem Ziel der Verbreitung umstürzlerischer Inhalte” vor. Nach Medienberichten stammt die Rechtsgrundlage für diese Vorwürfe noch aus der britischen Kolonialzeit – es drohen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Die Polizei durchsuchte zudem die Redaktionsräume und die Wohnungen der Festgenommenen.

Auch das Haus des Redakteurs und Vorsitzenden der Hongkonger Journalistenvereinigung, Ronson Chang Long-sing, wurde durchsucht. Nach einem Verhör wurde er wieder freigelassen, berichtete die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF).

Eines der letzten unabhängigen Medien

Stand News wurde 2014 gegründet und berichtete unter anderem über Gerichtsprozesse im Zusammenhang mit dem umstrittenen Hongkonger Sicherheitsgesetz. Die Organisation RSF hatte Anfang Dezember einen Bericht zur Pressefreiheit in China und Hongkong veröffentlicht: Darin wurde Stand News noch als eine von vier verbliebenen Publikationen in Hongkong genannt, die sich der chinesischen Zensur widersetzen – CitizenNews, Hong Kong Free Press und InMedia publizieren weiterhin.

Zudem war Stand News für die diesjährigen Press Freedom Awards von RSF in der Kategorie “Unabhängigkeit” nominiert: Die Nachrichtenseite habe sich verpflichtet, “die Grundwerte Demokratie, Menschenrechte, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit zu verteidigen und ein Raum zu sein, in dem Journalistinnen und Journalisten unabhängig von Unternehmen, Behörden und politischen Parteien publizieren können”.

Im Sommer hatte bereits die regimekritische Zeitung Apple Daily schließen müssen. Das Medium war wegen angeblicher Verstöße gegen das umstrittene Hongkonger Sicherheitsgesetz ins Visier der Behörden geraten. Der Zeitungsgründer Jimmy Lai sitzt aktuell in Hongkong im Gefängnis.

Nach der Schließung von Apple Daily waren auch sechs Vorstandsmitglieder von Stand News zurückgetreten, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Die Publikation hatte zudem alle Meinungsartikel und Kolumnen entfernt, um die Autorinnen und Autoren zu schützen.

Das im Juni 2020 in Kraft getretene Sicherheitsgesetz erlaubt es den Behörden, gegen Aktivitäten vorzugehen, die von Peking als umstürzlerisch, separatistisch, terroristisch oder verschwörerisch angesehen werden und zielt damit auf Kritiker der Hongkonger Regierung und der chinesischen Führung. Mehr als 100 Aktivisten wurden seit Inkrafttreten festgenommen oder warten auf ihren Prozess. Aus Angst vor Strafverfolgung haben sich viele Oppositionsmitglieder ins Ausland abgesetzt.

Einstige “Bastion der Pressefreiheit”

RSF-Geschäftsführer Christian Mihr kritisierte: “Genau sechs Monate nach der Zerschlagung der Next-Digital-Gruppe und ihres Flaggschiffs Apple Daily zeigt die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam erneut, wie fest entschlossen sie ist, unabhängigen Medien die Luft abzudrehen. Die Demokratien der Welt müssen nun handeln, bevor Chinas Modell der Informationskontrolle ein weiteres Opfer fordert.”

US-Außenminister Anthony Blinken schrieb auf Twitter, er sei “zutiefst besorgt” über die Schließung von Stand News. Er forderte die Behörden auf, die “zu Unrecht Inhaftierten” freizulassen und unabhängige Medien nicht weiter ins Visier zu nehmen. “Eine selbstbewusste Regierung, die keine Angst vor der Wahrheit hat, steht zu einer freien Presse.”

Der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International, Kyle Ward, kritisierte, mit der Schließung von Stand News setze sich die “Abwärtsspirale der Pressefreiheit in Hongkong fort”. Die Organisation hatte Ende Oktober angekündigt, ihre Büros in Hongkong bis zum Jahresende zu schließen. Das Sicherheitsgesetz habe die Arbeit von Menschenrechtlern “unmöglich” gemacht.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von RSF steht Hongkong auf Platz 80 von 180 Staaten. Als die Rangliste 2002 eingeführt wurde, belegte Hongkong noch Platz 18 von damals 139 bewerteten Ländern. (dpa / js)