Reporter ohne Grenzen klagt gegen Staatstrojaner-Einsatz durch BND

Schriftzug Bundesnachrichtendienst in Berlin
Reporter ohne Grenzen sieht ein “reales Risiko”, selbst vom BND überwacht zu werden. (Quelle: IMAGO / Joko)

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hat am Donnerstag Verfassungsbeschwerde gegen die Rechtsgrundlage für den Einsatz sogenannter Staatstrojaner durch den Bundesnachrichtendienst (BND) eingelegt. Die Beschwerde richtet sich außerdem gegen eine vorausgegangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das im Januar eine Klage von RSF in derselben Sache als unzulässig abgewiesen hatte.

Das Artikel-10-Gesetz erlaubt dem BND Spähsoftware einzusetzen, um in Geräte von Zielpersonen einzudringen und Chats und Textnachrichten mitzulesen. Mit der Beschwerde will RSF erreichen, dass dies für verfassungswidrig erklärt wird. Denn nach Ansicht der Organisation verstößt die Regelung unter anderem gegen das Fernmeldegeheimnis und das sogenannte IT-Grundrecht.

RSF erklärte, investigativ arbeitende Medienschaffende, die außerhalb Deutschlands in Kontakt mit Zielpersonen des BND stehen, seien ständig potenziell gefährdet, als “unverdächtige Nebenbetroffene” ebenfalls ins Visier des Geheimdienstes zu geraten. Werde die Kommunikation der Journalisten überwacht, verletze das ihr Grundrecht auf journalistischen Quellenschutz. Außerdem könne dies sowohl für ihre Quellen als auch für die Medienschaffenden eine “echte Gefahr darstellen”.

RSF befürchtet Überwachung durch den BND

Die Organisation befürchtet auch, dass Mobiltelefone und Computer ihrer Mitarbeitenden vom BND mithilfe von Spähsoftware überwacht werden könnten. Grund dafür sei, dass sie regelmäßig mit ausländischen Journalistinnen, Journalisten und Regierungsstellen kommunizieren. So könnten auch Kommunikationspartner einer Überwachung ausgesetzt werden, so RSF. Viele Aktivitäten der Organisation wären allerdings nicht möglich, wenn Kontaktpersonen im Ausland annehmen müssten, dass ihr Austausch mit der Organisation sie ins Visier eines Geheimdienstes rücke.

RSF-Geschäftsführer Christian Mihr kritisierte: “In seiner jetzigen Form ist das deutsche Verfassungsschutzgesetz eine echte Gefahr für investigativ arbeitende Medienschaffende und ihre Quellen, und das weltweit. Jeder Journalist und jede Journalistin, die in extremistischen Kreisen recherchiert, könnte durch den BND per Staatstrojaner überwacht werden und hat aktuell praktisch keine Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg dagegen zu wehren. Das muss sich ändern.”

Laut RSF verstößt die gesetzliche Regelung außerdem gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz. Dieses sichert Betroffenen zu, sich gegen Grundrechtsverletzungen vor Gericht zur Wehr setzen zu können.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Januar eine Klage der Organisation aus dem Jahr 2021 in derselben Sache als unzulässig abgewiesen, weil sich nach Auffassung der Richter die befürchtete Überwachung “nicht hinreichend konkret abgezeichnet” habe. Laut RSF hatten Experten des BND vor Gericht bestätigt, dass der Geheimdienst sowohl in der Inland-Ausland- als auch in der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung sogenannte Staatstrojaner verwendet.

RSF bemängelt, das Artikel-10-Gesetz lasse Klagen gegen Überwachungsmaßnahmen erst zu, wenn betroffene Personen von der überwachenden Behörde darüber informiert wurden. Nebenbetroffene würden von einer verdeckten Überwachung jedoch selbst im Nachhinein nichts erfahren, weil ihnen selbst kein Verdacht anlaste. Ein effektiver Rechtsschutz sei damit ausgeschlossen.

Das Bundesverfassungsgericht solle nun auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufheben – und den Fall zurück nach Leipzig verweisen.

RSF-Geschäftsführer Mihr erklärte: “Da das Bundesverwaltungsgericht nicht in der Sache über unser Anliegen entscheiden wollte, setzen wir jetzt auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts.”

Weitere Klagen anhängig

Die mangelnde Möglichkeit zur wirksamen Beschwerde gegen digitale Überwachung durch Nachrichtendienste ist auch Gegenstand einer laufenden Klage von RSF vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Bereits im Jahr 2020 hatte das Bundesverfassungsgericht Teile der Auslandsüberwachung durch den BND für grundrechtswidrig erklärt. Die damalige Bundesregierung hatte daraufhin eine Novelle des BND-Gesetzes erarbeitet, die Anfang 2022 in Kraft getreten ist. Gegen dieses Gesetz hatte Reporter ohne Grenzen im Januar gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie Medienschaffenden und Menschenrechtlern erneut Verfassungsbeschwerde eingereicht. Die Klagenden bemängeln, der Gesetzgeber habe sich mit der Novelle über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinweggesetzt – es seien sogar neue verfassungswidrige Regelungen aufgenommen worden. So verletze das Gesetz unter anderem das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie das sogenannte IT-Grundrecht.

Vor deutschen Gerichten sind außerdem noch weitere Klagen gegen den Staatstrojaner-Einsatz durch deutsche Nachrichtendienste anhängig: Koordiniert von RSF hatten im Oktober 2021 auch eine Journalistin, zwei Journalisten sowie der Verein “Whistleblower Netzwerk” Klagen bei verschiedenen Verwaltungsgerichten eingereicht. Die Klagenden wollen damit ein Verbot des Einsatzes von Spionagesoftware durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie die Landesämter für Verfassungsschutz (LfV) und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) gegen “unverdächtige Nebenbetroffene” erwirken.

In den Eilverfahren waren die Klagen bisher nicht erfolgreich; in den Hauptverfahren stehen die Entscheidungen noch aus. (js)