Weltweit bereits 80 Netzsperren seit Jahresbeginn

Can't connect auf einem Smartphone während einer Internetsperre in Indien
Alleine in Indien haben die Behörden das Internet in diesem Jahr bereits 33-mal eingeschränkt. (Quelle: IMAGO / ZUMA Wire)

Regierungen in 21 Staaten haben in diesem Jahr bereits Netzsperren verhängt. Das geht aus einem neuen Bericht der Organisation Access Now hervor. Oftmals wurde das Internet im Zuge von Massenprotesten eingeschränkt – aber auch in Notsituationen wie Naturkatastrophen oder Krieg waren Menschen vollständig vom Internet oder von einzelnen Diensten abgeschnitten.

Bis zum 19. Mai hat die Organisation gemeinsam mit lokalen Partnern bereits 80 Netzsperren dokumentiert, 18 würden seit dem vergangenen Jahr andauern.

Felicia Anthonio, Kampagnenmanagerin bei Access Now, erklärte: “Internetsperren sind ein Angriff auf die Menschenrechte. Sie sind immer gefährlich, ungerechtfertigt und moralisch verwerflich.” Regierungen würden weiterhin Millionen Menschen vom Internet abschneiden.

Einige Regierungen, die bereits im vergangenen Jahr häufig von der viel kritisierten Maßnahme Gebrauch gemacht hatten, haben auch 2023 den Zugang zum Internet vollständig oder teilweise eingeschränkt.

Millionen Menschen betroffen

So hatte die indische Regierung in den vergangenen Jahren so viele Abschaltungen angeordnet wie kein anderes Land. 2023 wurden dort laut Access Now bisher 33-mal Netzsperren verhängt, verteilt auf 13 Bundesstaaten. Mitunter wurde das Netz nur auf lokaler Ebene gesperrt, etwa anlässlich von Protesten oder religiösen Feiertagen.

In einigen Fällen hätten die Behörden aber auch flächendeckend Internetblockaden angeordnet: So beispielsweise im März im Bundesstaat Punjab, weil die Polizei nach einem Separatisten gefahndet hatte. Etwa 27 Millionen Menschen waren von der mehrfach verlängerten Maßnahme betroffen.

Auch im Bundesstaat Manipur, wo knapp 2,9 Millionen Menschen leben, wurde das Internet Anfang Mai flächendeckend abgeschaltet. Dort war es zu gewalttätigen Protesten gekommen.

Der Iran blockiert Verbindungen regelmäßig im Zusammenhang mit den Protesten, die im vergangenen Jahr nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini ausgebrochen waren. Seit Monaten werde beispielsweise anlässlich von wöchentlichen Protesten während des Freitagsgebets in der Provinz Sistan und Belutschistan das mobile Internet gesperrt. Das Regime ziele darauf ab, kritische Stimmen zu unterdrücken und Gräueltaten zu vertuschen, kritisiert die Organisation.

Zudem wurde in dem Land am 19. Januar eine Netzsperre anlässlich von Schulprüfungen verhängt. Access Now kritisiert, Betrug bei Prüfungen lasse sich dadurch nicht eindämmen.

Noch immer Einschränkungen in Tigray

In der äthiopischen Region Tigray ist der Zugang zum Internet laut Access Now weiterhin nicht vollständig wiederhergestellt. Dort wurde im November 2020 eine Sperre umgesetzt, nachdem ein bewaffneter Konflikt zwischen der Regierung und der Volksbefreiungsfront von Tigray ausgebrochen war. Der im November 2022 geschlossene Friedensvertrag sieht eigentlich die Wiederherstellung des Zugangs zu wesentlichen Kommunikationsdiensten vor. Telekommunikationsanbieter hätten zwar mit der Reparatur zerstörter Infrastruktur begonnen, viele Menschen in der Region seien aber weiterhin offline.

Zudem hat die äthiopische Regierung im Februar Messenger-Dienste und soziale Medien landesweit sperren lassen. Und in der Amhara-Region wurde das mobile Internet im April abgeschaltet.

Access Now zufolge sind auch weiterhin Menschen während des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine vom Internet abgeschnitten: Wie schon im vergangenen Jahr habe Russland gezielt Telekommunikationsinfrastruktur in der Ukraine zerstört – das Leid der Bevölkerung werde so noch vergrößert.

Erschwerte Hilfsmaßnahmen

Die Organisation kritisiert außerdem die Auswirkungen von Netzsperren im Zusammenhang mit Naturkatastrophen. In Myanmar hätten Menschen aufgrund absichtlicher Internetblockaden nicht vor dem Zyklon “Mocha” gewarnt werden können. Auch Evakuierungs- und Hilfsmaßnahmen seien erschwert worden. Im Mai waren durch den Zyklon Hunderte Menschen ums Leben gekommen.

In der Türkei hatten die Behörden den Kurznachrichtendienst Twitter nach dem verheerenden Erdbeben im Februar zwölf Stunden lang sperren lassen. Die Twitter-Blockade war laut Access Now ein Versuch, die Kritik an der Reaktion der Regierung auf das Erdbeben verstummen zu lassen. Es seien aber auch Rettungsmaßnahmen “erheblich” erschwert worden.

Weitere Netzsperren dokumentierte die Organisation beispielsweise im westafrikanischen Guinea, wo soziale Medien im Zusammenhang mit Protesten blockiert wurden. Auch Pakistan schränkte das Internet wegen Demonstrationen ein. In Mauretanien wurde das mobile Internet sechs Tage lang abgeschaltet, nachdem vier Häftlinge aus dem Gefängnis ausgebrochen waren. Access Now nennt dies eine “unverhältnismäßige, unwirksame und drakonische Reaktion”.

Andere Staaten, die in der Vergangenheit Netzsperren verhängt hatten, hätten während der Wahlen im Jahr 2023 hingegen darauf verzichtet: darunter Benin, Nigeria und Kasachstan.

Dennoch erwartet die Organisation weitere Netzsperren im Laufe des Jahres. Access Now zufolge hatte beispielsweise das irakische Kommunikationsministerium im Mai noch angekündigt, das Internet während der Schulabschlussprüfungen im Juni nicht einschränken zu wollen – nachdem der Bildungsminister interveniert hatte, wurde allerdings eine Netzsperre für vier Stunden pro Prüfungstag angeordnet.

Die Regierung im Senegal hatte zudem vergangene Woche zunächst Dienste wie Twitter und WhatsApp sperren lassen, als dort Unruhen nach der Verurteilung eines Oppositionspolitikers ausgebrochen waren. Seit dem vergangenen Wochenende wird dort der Organisation NetBlocks zufolge das mobile Internet täglich für mehrere Stunden vollständig abgeschaltet. (js)